Montag, 23. November 2020

Der Seitenhieb

 

Die Unbekannte lächelt. Dabei streichelt sie über einige Wollknäule, die auf der Verkaufstheke liegen.

Sagen Sie, wie ist ihr Name? Überaus schöne Garne liegen hier herum. Ich habe gehört, Sie können mir die Zukunft voraussagen. Stimmt das?

Nein, das kann ich nicht. Während meine Kundinnen, ein neues Muster ausprobieren erzähle ich Geschichten. Wolle ist derzeit nicht im Angebot. Falls sie Interesse haben, können sie morgen vorbeikommen. Ab 17 Uhr gibt es wieder einen Sockenstrickkurs. Etwas verlegen spielt Frau Rocha mit dem Schlüssel ihrer linken Hand.

Ach was, unterbricht die Unbekannte. Sie nehmen Geld. Nicht für den Strickkurs sondern für die Launen der Natur. Dabei greift sie in ihr Haar. Fast gleichzeitig zieht ein Luftzug durch den Raum.
Einige Wollknäule fallen auf den Boden. Dabei klopft die Unbekannte mit dem Zeigefinger auf den Zahlteller. Der dreht sich mehrfach.

Erschreckt tritt Frau Rocha einen Schritt zurück. Eins kann ich mit Gewissheit sagen, die Frauen stricken hier gern. Manche stricken Buchstaben in den Schaft. Am besten sie gehen jetzt.

Vielleicht. Ich suche einen Spiegel, der hier zur Ansicht dient. Haben sie einen? Dabei klatscht sie mit der ganzen Hand auf die Glastür, ein Stück springt heraus auf den Boden in kleine Teile.

Ich rufe die Polizei. Sie sind verrückt. Merken sie sich eines. Kaufen sie im Baumarkt einen Spiegel.
Dabei murmelte sie abgehackte Worte. Ergreift den Telefonhörer. Doch die Unbekannte ist auf einmal verschwunden. Die Eingangstüre zeigt ein Fußball großes Loch. Sie malt eine liegende Acht auf die ungewollte Öffnung. Leise spricht sie eine Affirmation. Die Glasscherben gruppieren sich auf dem Boden. Weitere Worte beschwören gleich wie eine Flöte. Die Glasstücke finden den Weg zurück in das Loch. Einige Zeit des Nachdenkens über die Frau mit schwarzen Haaren mit dem ungewöhnlichen Geruch bringen Frau Rocha zu der Erkenntnis. Ihr Geheimnis um den Spiegel kannte die Fremde auch. Sie muss ein Geist sein, der sich in Luft auflösen kann. Auf jeden Fall kommt sie aus einer anderen Zeit, wie die Jacke mit schwarzen Knöpfen zeigt. Mit Puffärmel aufgebauschte Schultern. Kein Mensch würde heute so herumlaufen. Typisch männliche Adelige mit weißem Stehkragen in Galerien sehen so aus. Darüber hingen mehrere Goldketten. Die schwarze Hose in einem geraden Schritt könnten allerdings auch von heute noch getragen werden. Was wird sie als nächstes tun?

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