Sonntag, 22. April 2018

Warm

Flatterhaft mit einer Haube auf dem Kopf wolltest du Eindruck schinden beim Einzug. Viele Punkte sprachen dagegen. "Schon wieder ein Neuer", sagen die Menschen. „Es ist wieder Frühling“, meint die Blonde. Meine Zeit verlebe ich badend durch Zeit und Raum. Zwischen Dominanz unserer Freundschaft steht die Musik. Herrliche Töne geben meinem Leben einen Sinn.
In unserem Heim bist du der Star. Mich mögen sie nicht sonderlich. Zu normal. „Keine Auffälligkeiten, aber eine schöne Stimme hat er.“ sagt die Blonde. Jeden Morgen erwacht meine Seele mit deinem Flügelschlag. Erfrischt begrüßen wir die anderen. Schwingen von Schaukel zu Schaukel. Sehen dem Frühling zu. Können das Gras wachsen hören. Fühlen, wie die Sonne die Erde wachküsst. Heimlich sind wir dabei, wenn die Rosenknospen aufblühen. Im Garten steht ein Apfelbaum. In der Luft geigt ein herrlicher Duft. Er kommt von den weißen Blüten. In den Rabatten rechts davon, wetteifern Blumen in bunten Farben. Stress entsteht bei anderen. Hier singen die Herzen harmonisch miteinander. Einzig die Freiheit fehlt mir. Wieder steht die Blonde vor mir und lächelt.
Hinter Gitterstäben sitze ich und mein Kumpel. Er hat ein orangenes Outfit. Sieht mächtig übertrieben aus, meiner Meinung. Am liebsten putzen wir uns. Ich muss immer warten, bis er mit baden fertig ist. Lange Zeit stritten wir uns, wer auf welcher Schaukel sitzen darf. Nachdem er stark an Gewicht abnahm, ist es ruhiger zwischen uns geworden.
Das Essen wird ihm seither auf einem extra Brett serviert. Ich mag meinen Kumpel. Seit er sich verändert, bekommen wir viel Besuch. Die Menschensprache verstehe ich nicht gut. Aber ihre Augen glänzen bei unserem Anblick. Ihre Stimmen sind weich. Häufig bekommen wir eine Wohnungsrenovierung. Mit eindrücklichen Worten murmelt die Blonde eine Verschwörung: Alles muss raus, was krank macht.“
Am nächsten Morgen nehmen sie meinen Kumpel mit. Eine Untersuchung, denn seit geraumer Zeit ist er sehr ruhig geworden. Isst kaum mehr was. Seine Krallen sind beidseitig verhornt.

 Stunden später kommt er wieder. Wer weiß, wo er war, die Krallen sind rechts alle abgefallen. Er sitzt da. Ich beschwichtige ihn. Er sitzt teilnahmslos auf der Stange. Ich halte mich am Außengeländer, den Gitterstäben fest. Putze seinen Schnabel. Unsere Hahnenkämpfe sind schon lange vorbei. Ein Leben in Gefangenschaft fordert seinen Tribut.

Das frühlingshafte Wetter schickt dunkle Wolken an den Horizont. Jeden Tag kommt die Blonde, träufelt einige Tropfen in seinen Schnabel. Die abgebrochenen Zehen schmerzen anscheinend. Er zieht die Kralle in sein Gefieder. Mein Kumpel kann nicht mehr auf der Stange sitzen. Er bleibt auf dem Boden liegen. Laut zwitscher ich aus Leibeskräften nach Hilfe. „Austherapiert“, sagen die Menschen. „Er gibt dem Leben einen Sinn“, sagen sie. Dann verliert die Blonde Wasser aus den Augen. Bestimmt will sie baden. Unsere Wanne ist mit kaltem Wasser gefüllt. Ihr Wasser trifft mich. Es ist ganz warm. 

Grüße,
Mike Melonte



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