Mit den Jahren nennen mich die meisten
meiner Freunde Schokoladenbraut. Das liebt wohl daran, dass ich gerne
um die Mittagszeit einen süßen Snak zu mir nehme. Meine Freundin
Sonja nennt mich Uschi. Eigentlich heiße ich Ursula. Vermutlich
nennen mich alle so, weil ich gerne auf andere etwas aufdringlich
wirke. Das liegt vielleicht daran, dass ich mich ungern bewege. Sport
ist nicht so mein Ding. Obwohl es mir leicht fällt, andere zu
beeindrucken, komme ich mit meinen eigenen Gefühlen nur schwer
zurecht. Oft kommen meine Gedanken und halten mich bis in die Nacht
durch Grübeln auf. Anstatt entspannt Schlafen, überlege ich mir,
wie ich es endlich schaffe meinen Körper in eine für andere
anschauliche Größe zu bringen.
Diese unausgeglichen Reaktionen führe
ich auf eine mit mir selber unzufriedenen Beziehung zurück. Zu
meinen tief verborgen, scheinbar unauffindbar inneren Schätzen, die
mir ein Rätsel aufgeben. Oder ist es ein mit sich selber beschäftigt
sein? Obwohl es mir leicht fällt andere zu beeindrucken, komme ich
mit meinen eigenen Gefühlen nur schwer zurecht. Sehr empfindlich
reagiere ich auf Anforderungen, wenn meine Kollegin an meiner Bürotür
steht und sagt: Die Rechnungen habe ich vorbereitet, jetzt müssen
Sie diese nur noch ausdrucken.“ Im Land der Empfindlichkeiten
könnte ich das einfach hinnehmen. Stattdessen grolle ich, du
Klugschei… Selbst danch geht es mir nicht besser. Die Summe dieser
Gespräche, wer was von mir fordert, ist am Tagesende lang.
Eigentlich sollte es das „ich“ zu einem „du“ verwandeln. Mehr
Verständnis zeigen für die Situation der Kollegin. Bestimmt war es
eine Anweisung von deren Chef. Oder entscheidet sie gar selber und
will mich erziehen? Sind meine Antworten zu patzig oder ist meine
Ablage falsch sortiert? Geht es hier eigentlich um mich oder um die
Sache? Mit den Rechnungen kommen immer wieder Zahlendreher zum
Vorschein. Vielleicht hat sie sogar recht. Hartnäckig verstecke ich
mich in erlernten Konventionen und Glaubensmustern, wie: „Eine Frau
kann eben keine Reichtümer verdienen!“. Mit ein wenig Anpassung
und weniger reden könnte meine Kommunikation zu einem
gemeinschaftlich freudigen Erlebnis werden. So bleibt der Zugang für
mich dorthin ein Geheimnis, weil ich einer Einsicht oft im Wege
stehe, gibt mein Verstand bisweilen keine Entwarnung, sondern heizt
die Gefühle ordentlich ein. Dann nehme ich es still schweigend ohne
jammern und klagen hin, dass ich den Zugang weder zu meinen
Mitmenschen bekomme noch zu mir selber. Oder ich errege
Aufmerksamkeit indem ich meinem Gegenüber tatsächlich das Ohr
abschwatze und eine Kommunikation zum Erliegen kommt. Unlängst kam
es zu einem unangenehmen Telefonat mit dem Lagerleiter. Er meinte:
Das müssen Sie wissen, in welche Produktgruppen sich das
einsortieren lässt. Mein früherer Chef hätte mir aber ordentlich
die Meinung gesagt, wenn ich mich wie sie anstellte. Etwas geplättet
gab ich zu bedenken, dass der alte Chef nicht mehr da sei und griff
in meine Schublade, brach mir ein Stück Schokolade während des
Gesprächs herunter, was ich dann auf meine Zunge legte und
genüsslich im Mund hin und her schob.Was passiert hier? Ist es das
trotzige Kind in mir, das verhindert, das ich endlich erwachsen
werde? Oder verwischen die Tatsachen den Blick auf das Wesentliche.
Die Aufgabenstellung ist doch klar. Als Bürogehilfe kann es kein
Managerjob sein. Vielleicht bin ich nur am falschen Arbeitsplatz.
Eigentlich scheint der Wunsch nach
Kommerz in mir sehr groß, dass mir die Abstinenz davon schwer fällt.
Dieses innere Tauziehen verursacht ungeahnte Turbulenzen, welche mich
regelrecht in eine Art fassungslose Hängepartie oder in
Schokoladenberge hineintreibt. Entscheidungen fällen, ist dann
nicht meine Stärke. Ich ringe mit der Fassung und meinem Hüftgold.
So ein Stadtbummel mit den schönen Auslagen im Schmuckgeschäft
springt mir förmlich in die Augen. Ja, die mit Diamant besetzten
Ringe, Ketten oder Armbänder lachen mich genauso an. Geradezu ein
Überfluss regt meinen inneren Trieb, endlich auch einmal so eine
tolle Uhr an meinem Handgelenk tragen zu können. Vermutlich lebe ich
im ständigen Vergleich zu meinen Mitmenschen. „Oh, der Nachbar hat
ein neues Auto“, überkommt mich der nächste Gedanke. Wie zahlt
der die Nobelmarke, die mit einem sechsstelligen Betrag im Autohaus
mit allen Extras angeboten wird. Ein Blick auf meine tägliche Arbeit
scheitert durch die Einsicht, dass die Aufgaben auf einem leeren
Schreibtisch liegen, bei halb gefüllten Regalen und heißen
Temperaturen, die mich regungslos auf den Feierabend warten lassen.
Wäre es nur nicht so heiß. Keine Klimaanlage, kein Ventilator und
mein Kühlakku liegt zuhause in meiner Tiefkühltruhe. So eine
Nobelkarosse ist auch mein Traum. In meiner Jackentasche finde ich
eine angebrochene Tafel Nougatschokolade. Hm, der abgebrochene Riegel
schmeckt herrlich.
Meine Stimme aus meinem Bauch nimmt in
letzter Zeit häufiger mit mir Kontakt auf. Gestresst reagiere ich
auf Zwischenfälle, werde wütend, wenn die Schuhe in der ganzen
Wohnung herumliegen. Der Weg zum Bad erst mit Kleider wegräumen frei
wird. Der Kühlschrank entweder leer oder einfach nur vollgestopft
ist. Andächtig wünsche ich mir, endlich ein Schokoladenzauber möge
mir helfen, den Zustand zu ändern. Zudem kommt eine hormonelle
Umstellung, die vor allem nachtaktiv ist. Des nachts dringenTafeln an
Schokolade in meine Träume ein. Getarnte Ablenkung für meinen
Verstand. Ich finde die Schokolade schmeckt in meinem Traum fast noch
besser. Zuerst ist es ein Viereck dann eine ganze Tafel Schokolade,
die in meinen Mund rutscht bis sich die Tafel aufgelöst in meinem
Magen verschwindet.
Ob es die Arbeit ist, die mir
überhaupt keinen Spaß bereitet. Die Arbeitsstelle sah zunächst
aus, als könne sie bis zur Rente ein Plätzchen sein. Sehr rasch
kristallisierte sich heraus, dass es ein Job mit Fingerlackieren und
persönlichen Studien sein würde. Was hatte ich im
Vorstellungsgespräch übersehen? Hatte sich mein Chef nicht mehrmals
an der Nase gekratzt? Ich hätte mich schon früher mit Körpersprache
beschäftigen sollen. Nun sitze ich in einem Büro und warte auf den
Feierabend. Hoffe endlich aufzuwachen. Eine Lösung zu finden in
meinem Chaos zwischen ständigen Meinungsverschiedenheiten meiner
Umwelt und Beschimpfungen. Grundsätzlich ist gegen eine bezahlte
Beschäftigung nichts einzuwenden. Im Grunde entscheide ich über
machen oder lassen. Sollte ich eine Schokoladenboutik eröffnen? In
diesem Fall würde ich von Größe 48 auf eine super Übergröße
schnellen. Im geistigen Rückzug begehe ich eine Nebentätigkeit,
lese und warte auf den passenden Moment, der mich auffordert, endlich
eine Entscheidung zu treffen. Wann ist endlich der Laden offen, damit
ich wieder zu meiner Schokolade komme? Neuerdings stehe ich vor dem
Spiegel und befrage meine Arme, wie das mit der Wertschätzung ist.
Leise höre ich das Knistern der Packung mit dem silbernen Papier,
wenn meine Finger auf dem Waschbecken die nächste Tafel Traumnuss
Schokolade Stück für Stück abbricht.
Das heiße Verlangen nach der Süße
des Lebens lässt meinen Bauch knurren, meinen Verstand mit Reihen
von Zahlen in meinem Kopf schwirren und der Wahrheit leider wieder
ein Schnippchen schlagen mit der nächsten Tafel Schokolade.
Bei meinen nächtlichen
Wohnungswanderungen stelle ich eine interessante Frage. Bin ich
zufrieden? Plötzlich mündet der tägliche Mischmasch in einer
Hotline. Die Lustlosigkeit gegenüber der Arbeit, meiner Familie und
nicht zuletzt mir gegenüber ist das Hängen und Würgen längst
vergessener Gefühle. Ich bin so eine Verlierin.
Dabei geht es gar nicht um die
Kollegen, nein es ist auch nicht meine Familie. Vielmehr geht es um
mich. Mein Neid ist es, der die Situation undurchsichtig macht, den
realistischen Blick im Keller einsperrt. Weil anderen alles im Leben
so leicht zu fällt. Sich Ziele setzen, während mir der Mut fehlt.
In Gedanken verabschiede ich meine Angewohnheiten mit Adieu ihr
Schokolinsen, Rumtrüffel und Schokoblättchen. Ich entsage euch. Ihr
könnt andere ärgern. Schokoladengedanken rutschen aus dem Off.
Zeigen meine inneren Wünsche und bringen die unerfüllten Ansprüche
als Schokoladentransfer von meinem unbewussten in mein Bewusstsein.
Hungrige Aussichten nach Süßem vernebeln dann meine ziellosen
Gefühle nach Anerkennung und verstellen die Realität auf machbare
Ziele.
Endlich erkenne ich Essen kann auch
auf geistiger und emotionaler Ebene fehlen. Unglaublich abgefüllt
von fünf Packungen Mohrenköpfe und Übergewicht überlege ich die
nächste Runde, um an eine sichere Startlinie zu gelangen. Eine neue
Struktur muss her. Vielleicht probiere ich es mal mit Sport.
Kleinlaut gebe ich meinem inneren Zensor recht. So ein Stückchen
Schokolade erlaubt mir für einen Moment einen glückliches Gefühl.
Den Süßigkeiten, Chips und Limonaden den Kampf ansagen, lässt sich
morgen sicher auch noch verwirklichen.
Herzliche Schokoladengrüße,
Mike Melonte
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