Sonntag, 5. März 2017

Ein Stückchen Schokolade

Mit den Jahren nennen mich die meisten meiner Freunde Schokoladenbraut. Das liebt wohl daran, dass ich gerne um die Mittagszeit einen süßen Snak zu mir nehme. Meine Freundin Sonja nennt mich Uschi. Eigentlich heiße ich Ursula. Vermutlich nennen mich alle so, weil ich gerne auf andere etwas aufdringlich wirke. Das liegt vielleicht daran, dass ich mich ungern bewege. Sport ist nicht so mein Ding. Obwohl es mir leicht fällt, andere zu beeindrucken, komme ich mit meinen eigenen Gefühlen nur schwer zurecht. Oft kommen meine Gedanken und halten mich bis in die Nacht durch Grübeln auf. Anstatt entspannt Schlafen, überlege ich mir, wie ich es endlich schaffe meinen Körper in eine für andere anschauliche Größe zu bringen.

Diese unausgeglichen Reaktionen führe ich auf eine mit mir selber unzufriedenen Beziehung zurück. Zu meinen tief verborgen, scheinbar unauffindbar inneren Schätzen, die mir ein Rätsel aufgeben. Oder ist es ein mit sich selber beschäftigt sein? Obwohl es mir leicht fällt andere zu beeindrucken, komme ich mit meinen eigenen Gefühlen nur schwer zurecht. Sehr empfindlich reagiere ich auf Anforderungen, wenn meine Kollegin an meiner Bürotür steht und sagt: Die Rechnungen habe ich vorbereitet, jetzt müssen Sie diese nur noch ausdrucken.“ Im Land der Empfindlichkeiten könnte ich das einfach hinnehmen. Stattdessen grolle ich, du Klugschei… Selbst danch geht es mir nicht besser. Die Summe dieser Gespräche, wer was von mir fordert, ist am Tagesende lang. Eigentlich sollte es das „ich“ zu einem „du“ verwandeln. Mehr Verständnis zeigen für die Situation der Kollegin. Bestimmt war es eine Anweisung von deren Chef. Oder entscheidet sie gar selber und will mich erziehen? Sind meine Antworten zu patzig oder ist meine Ablage falsch sortiert? Geht es hier eigentlich um mich oder um die Sache? Mit den Rechnungen kommen immer wieder Zahlendreher zum Vorschein. Vielleicht hat sie sogar recht. Hartnäckig verstecke ich mich in erlernten Konventionen und Glaubensmustern, wie: „Eine Frau kann eben keine Reichtümer verdienen!“. Mit ein wenig Anpassung und weniger reden könnte meine Kommunikation zu einem gemeinschaftlich freudigen Erlebnis werden. So bleibt der Zugang für mich dorthin ein Geheimnis, weil ich einer Einsicht oft im Wege stehe, gibt mein Verstand bisweilen keine Entwarnung, sondern heizt die Gefühle ordentlich ein. Dann nehme ich es still schweigend ohne jammern und klagen hin, dass ich den Zugang weder zu meinen Mitmenschen bekomme noch zu mir selber. Oder ich errege Aufmerksamkeit indem ich meinem Gegenüber tatsächlich das Ohr abschwatze und eine Kommunikation zum Erliegen kommt. Unlängst kam es zu einem unangenehmen Telefonat mit dem Lagerleiter. Er meinte: Das müssen Sie wissen, in welche Produktgruppen sich das einsortieren lässt. Mein früherer Chef hätte mir aber ordentlich die Meinung gesagt, wenn ich mich wie sie anstellte. Etwas geplättet gab ich zu bedenken, dass der alte Chef nicht mehr da sei und griff in meine Schublade, brach mir ein Stück Schokolade während des Gesprächs herunter, was ich dann auf meine Zunge legte und genüsslich im Mund hin und her schob.Was passiert hier? Ist es das trotzige Kind in mir, das verhindert, das ich endlich erwachsen werde? Oder verwischen die Tatsachen den Blick auf das Wesentliche. Die Aufgabenstellung ist doch klar. Als Bürogehilfe kann es kein Managerjob sein. Vielleicht bin ich nur am falschen Arbeitsplatz.

Eigentlich scheint der Wunsch nach Kommerz in mir sehr groß, dass mir die Abstinenz davon schwer fällt. Dieses innere Tauziehen verursacht ungeahnte Turbulenzen, welche mich regelrecht in eine Art fassungslose Hängepartie oder in Schokoladenberge hineintreibt. Entscheidungen fällen, ist dann nicht meine Stärke. Ich ringe mit der Fassung und meinem Hüftgold. So ein Stadtbummel mit den schönen Auslagen im Schmuckgeschäft springt mir förmlich in die Augen. Ja, die mit Diamant besetzten Ringe, Ketten oder Armbänder lachen mich genauso an. Geradezu ein Überfluss regt meinen inneren Trieb, endlich auch einmal so eine tolle Uhr an meinem Handgelenk tragen zu können. Vermutlich lebe ich im ständigen Vergleich zu meinen Mitmenschen. „Oh, der Nachbar hat ein neues Auto“, überkommt mich der nächste Gedanke. Wie zahlt der die Nobelmarke, die mit einem sechsstelligen Betrag im Autohaus mit allen Extras angeboten wird. Ein Blick auf meine tägliche Arbeit scheitert durch die Einsicht, dass die Aufgaben auf einem leeren Schreibtisch liegen, bei halb gefüllten Regalen und heißen Temperaturen, die mich regungslos auf den Feierabend warten lassen. Wäre es nur nicht so heiß. Keine Klimaanlage, kein Ventilator und mein Kühlakku liegt zuhause in meiner Tiefkühltruhe. So eine Nobelkarosse ist auch mein Traum. In meiner Jackentasche finde ich eine angebrochene Tafel Nougatschokolade. Hm, der abgebrochene Riegel schmeckt herrlich.

Meine Stimme aus meinem Bauch nimmt in letzter Zeit häufiger mit mir Kontakt auf. Gestresst reagiere ich auf Zwischenfälle, werde wütend, wenn die Schuhe in der ganzen Wohnung herumliegen. Der Weg zum Bad erst mit Kleider wegräumen frei wird. Der Kühlschrank entweder leer oder einfach nur vollgestopft ist. Andächtig wünsche ich mir, endlich ein Schokoladenzauber möge mir helfen, den Zustand zu ändern. Zudem kommt eine hormonelle Umstellung, die vor allem nachtaktiv ist. Des nachts dringenTafeln an Schokolade in meine Träume ein. Getarnte Ablenkung für meinen Verstand. Ich finde die Schokolade schmeckt in meinem Traum fast noch besser. Zuerst ist es ein Viereck dann eine ganze Tafel Schokolade, die in meinen Mund rutscht bis sich die Tafel aufgelöst in meinem Magen verschwindet.

Ob es die Arbeit ist, die mir überhaupt keinen Spaß bereitet. Die Arbeitsstelle sah zunächst aus, als könne sie bis zur Rente ein Plätzchen sein. Sehr rasch kristallisierte sich heraus, dass es ein Job mit Fingerlackieren und persönlichen Studien sein würde. Was hatte ich im Vorstellungsgespräch übersehen? Hatte sich mein Chef nicht mehrmals an der Nase gekratzt? Ich hätte mich schon früher mit Körpersprache beschäftigen sollen. Nun sitze ich in einem Büro und warte auf den Feierabend. Hoffe endlich aufzuwachen. Eine Lösung zu finden in meinem Chaos zwischen ständigen Meinungsverschiedenheiten meiner Umwelt und Beschimpfungen. Grundsätzlich ist gegen eine bezahlte Beschäftigung nichts einzuwenden. Im Grunde entscheide ich über machen oder lassen. Sollte ich eine Schokoladenboutik eröffnen? In diesem Fall würde ich von Größe 48 auf eine super Übergröße schnellen. Im geistigen Rückzug begehe ich eine Nebentätigkeit, lese und warte auf den passenden Moment, der mich auffordert, endlich eine Entscheidung zu treffen. Wann ist endlich der Laden offen, damit ich wieder zu meiner Schokolade komme? Neuerdings stehe ich vor dem Spiegel und befrage meine Arme, wie das mit der Wertschätzung ist. Leise höre ich das Knistern der Packung mit dem silbernen Papier, wenn meine Finger auf dem Waschbecken die nächste Tafel Traumnuss Schokolade Stück für Stück abbricht.

Das heiße Verlangen nach der Süße des Lebens lässt meinen Bauch knurren, meinen Verstand mit Reihen von Zahlen in meinem Kopf schwirren und der Wahrheit leider wieder ein Schnippchen schlagen mit der nächsten Tafel Schokolade.

Bei meinen nächtlichen Wohnungswanderungen stelle ich eine interessante Frage. Bin ich zufrieden? Plötzlich mündet der tägliche Mischmasch in einer Hotline. Die Lustlosigkeit gegenüber der Arbeit, meiner Familie und nicht zuletzt mir gegenüber ist das Hängen und Würgen längst vergessener Gefühle. Ich bin so eine Verlierin.

Dabei geht es gar nicht um die Kollegen, nein es ist auch nicht meine Familie. Vielmehr geht es um mich. Mein Neid ist es, der die Situation undurchsichtig macht, den realistischen Blick im Keller einsperrt. Weil anderen alles im Leben so leicht zu fällt. Sich Ziele setzen, während mir der Mut fehlt. In Gedanken verabschiede ich meine Angewohnheiten mit Adieu ihr Schokolinsen, Rumtrüffel und Schokoblättchen. Ich entsage euch. Ihr könnt andere ärgern. Schokoladengedanken rutschen aus dem Off. Zeigen meine inneren Wünsche und bringen die unerfüllten Ansprüche als Schokoladentransfer von meinem unbewussten in mein Bewusstsein. Hungrige Aussichten nach Süßem vernebeln dann meine ziellosen Gefühle nach Anerkennung und verstellen die Realität auf machbare Ziele.

Endlich erkenne ich Essen kann auch auf geistiger und emotionaler Ebene fehlen. Unglaublich abgefüllt von fünf Packungen Mohrenköpfe und Übergewicht überlege ich die nächste Runde, um an eine sichere Startlinie zu gelangen. Eine neue Struktur muss her. Vielleicht probiere ich es mal mit Sport. Kleinlaut gebe ich meinem inneren Zensor recht. So ein Stückchen Schokolade erlaubt mir für einen Moment einen glückliches Gefühl. Den Süßigkeiten, Chips und Limonaden den Kampf ansagen, lässt sich morgen sicher auch noch verwirklichen.

Herzliche Schokoladengrüße,
Mike Melonte


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen