Samstag, 18. April 2015

175 Jahre Musiknoten auf Wanderschaft und wie der Schwieberdinger Sängerbund Geburtstag feiert...


Herzlichen Glückwunsch dem Schwieberdinger Sängerbund!
Der Sängerbund Schwieberdingen 1840 e.V. und die Schwieberdinger Bürger befinden sich in Feierlaune. Denn sie feiern und singen seit 175 Jahren. Die Gemeinde erfreut, was die Mitglieder singen. Gefeiert wird heute der Geburtstag, vor allem auch zum Dank an die schönsten Stunden dieser gemeinschaftlichen Zusammenkunft. Neben Kameradschaft wünschen sich alle Sänger gemütliches Beisammensein, entspannte Auftritte und weiterhin die Gunst der Zuhörer. Seit nun 175 Jahren, fast zwei Jahrhunderten, tragen die Sänger ihre Lieder in die nächste Generation. Wir Notenblätter können das bestätigen. Das war nicht immer so. Als das 130-jährige Jubiläum gefeiert wurde, gab es einen orts- und musikgeschichtlichen Rückblick von Dr. Willi Müller, Rektor der Volksschule in Schwieberdingen. Er beschreibt die Umgebung „des Dorfes an der Straße“, geprägt von Menschen, die seit Jahrhunderten Schwieberdingen bewohnen. Früher die Lage einer der wichtigsten mitteleuropäischen Verkehrsadern. Heute ein industrieller Mittelpunkt mit vielen hinzugezogenen Neubürgern. Hier ist der Sängerbund Schwieberdingen 1840 e.V. ein konstanter Faktor und beschert noch einen Blick auf historische Besonderheiten. Vor allem die in den Archiven ruhenden Zeugnisse. Darunter einige Notenblätter, die sehr gesprächig sind. Allerdings dürfen sie nichts weitererzählen. Nun kennen Sie unsere Heimat. Verborgen in Mappen und Kisten. Ein paar Kleinigkeiten dürfen Sie schon wissen. Viel steht im Protokollbuch. Die Aufzeichnungen beginnen um 1850. „Auf der Zusammenkunft mit dem Ludwigsburger Turnverein wurde auf die Freiheit und Eintracht getrunken“. Ein bisschen stolz waren die alten Notenblätter schon, denn nach einem Jahr üben, mussten die Schwieberdinger den Vergleich mit Gesangsvereinen aus den Städten nicht mehr scheuen. Dazu beigetragen hat bestimmt auch die strenge Regelung nach § 5 früherer Satzung: Wer unentschuldigt fehlte, konnte ausgeschlossen werden.
Gegründet wurde der Verein überwiegend von Lehrern in und um Schwieberdingen herum. Als exklusive Vereinigung konnten sie mittwochs Nachmittag am gemeinsamen Üben teilnehmen. Den Handwerkern und Landwirten blieb das Nachsehen. Politik und das Weltgeschehen hält nicht an vor Schwieberdingen. Im Fadenkreuz mehrere Umbrüche blieben die Einsätze der Sänger, die protokollarisch nach bestem Wissen Lieder schmettern. 1852 verlieren die Herren das Interesse am Singen, vermutlich wegen irgendwelcher Querelen. Bis 1856 nimmt kaum mehr einer ein Notenblatt in die Hand. Wir Notenblätter trafen uns heimlich bei Tage hinter verschlossenen Türen und beteten, dass einer käme, der uns aus der Versenkung herausholen würde. Das ist lange her.
Initiert wurde der Verein durch „Lamm“-Wirt Essig anno 1840. Seither besingt der Chor alle vier Jahreszeiten. Von der romantischen Melodie bis zum herzlichen und volkstümlichen Gesang. So ein Vereinsabend ist eine harmonische Angelegenheit. Hätte ein Notenblatt die Möglichkeit, aus dem Nähkästchen zu plaudern, würde so mancher Sänger mehr Vertrauen zeigen. Unter uns, der Sängerbund weiß überhaupt nichts von den aktiven Notenblättern im Archiv. Sie sehen und treffen auf Tradition und musikalische Raritäten. Sie verstehen, dass Notenblätter verschwiegen sein müssen, weil wir als Augenzeugen eben Verantwortung tragen. So manche Aufnahme platzte fast vor Aufregung, weil einer der Herren teils in bunten Socken, schlecht rasiert oder unangebrachter Kleidung aufkreuzte. Das gab einen Unmut bei den Sängern. Besonders zu den Auftritten nach dem Essen und Trinken, fällt die eine oder andere Tonart aus der Rolle. Einige Noten, darunter auch welche, die schwer zu singen sind, bieten ihrem Besitzer gleich zu Beginn der Probe das „Du“ an. Vorsorglich für den Sänger, der die Noten nur vage kennt und erst nach und nach die Bedeutung der Töne erfährt. Falls fehlende Töne dem Sänger den Garaus machen, kann das Notenblatt rasch einwirken und zu Boden fallen, was die anderen Sänger natürlich gleich bemerken und hilfreich zur Seite stehen. Singen soll Spaß und Entspannung nach einem arbeitsreichen Tag bereiten. Disziplin darf nicht fehlen, aber allzu streng wird der Maßstab nicht angesetzt. Gefühlvoll schwingt der Dirigent den Taktstock. „Los geht’s“.
Seit 2009 ist Frau Natalie Igbal Chorleiterin. Bevor sie die Herren begrüßt, ist ein reger Austausch bis zum Beginn der Stunde. Geprobt wird in der Bergschule im Gemeinschaftsraum. Unter dem Motto: „Lasst uns noch eine Strophe singen! Und wann sitzen wir wieder gemütlich beieinander? Bis - also dann bis zum nächsten Mal“ werden die nächsten Treffen geplant. Seit Jahren lebt der Sängerbund diese tolerante Kameradschaft. Kaum zu glauben, seit 175 Jahren trifft Gesang auf Melodien und die Notenblätter halten den Sängern treu die Stellung. Regelmäßig im Rhythmus einmal pro Woche und zu den jeweiligen Auftritten.
Mit dem gemeinschaftlichen Singen kommen sich die Sänger näher und wachsen an der Herausforderung von unterschiedlichen Ansichten zu den jährlichen Konzerten. Damals wie heute entstehen Freundschaften und natürlich ist gegenseitiges Helfen selbstverständlich. Gleich geblieben ist der einheitliche Sängeranzug und die Lust auf das Singen. Der Schwieberdinger Sängerbund 1840 e.V. ist eine fest verankerte kultivierte Zusammenkunft. Seither ohne Unterbrechung bleibt die gesellige, heiter und lockere Einstellung. Wer singen will, sollte ein Interesse an Musikalität mitbringen. Notenkenntnisse und Chorerfahrung sind wünschenswert, doch nicht Voraussetzung.
Verdient gemacht hat sich der Schwieberdinger Sängerbund 1840 e. V. bei der musikalischen Förderung der Jugend. Beispielgebend begünstigt er kulturelles Leben in Zusammenarbeit mit der Hermann-Butzer-Schule. Die Chorleiterin des Sängerbundes studierte mit Kindern der HBS (damals Grund- und Hauptschule) mehrere Kindermusicals ein. Die Aufführung und der Applaus waren für die Kinder ein besonderes Erlebnis. Neue Projekte sind in Planung.
2010 wagt der Sängerbund eine neue Richtung. Vorausschauend entsteht ein zweiter Chor. „Tonträger gesucht! Unser moderner gemischter Chor sucht Junge und Junggebliebene, sucht dich!“ Eine wichtige Entscheidung, weil nicht nur Männer gut und gerne singen. Selbstverständlich sind jüngere Herren willkommen! Frau Iqbal übernimmt nun auch für den gemischten Chor die Leitung. Seither singen bei den Tonträgern Frauen und Männer gemeinsam. Bei Konzerten treten der Männerchor und die Tonträger für einige Gesangsstücke gemeinsam auf. Notenblätter werden an alle Interessierten verteilt, Schnupperstunden sind selbstverständlich.
In der formellen Satzung steht geschrieben, dass der Sängerbund kulturelle Belange grundsätzlich fördert. Welch eine Chance für alle, die gerne in der Badewanne singen. Unter uns: „Der gemischte Chor ist seit Jahren etabliert und trifft sich regelmäßig. Plötzlich findet eine schüchterne Stimme ein erfahrenes Gehör, vielleicht Sie, ja Sie!“
Mehrere Auftritte im Jahr, sogar einer mit der fränzösischen Partnerstadt Vaux-le-Penil, ergänzen das Repertoire. Einmal im Jahr bebt der Sängerbund. Hoffen und bangen alle Noten, dass das Wetter mitmacht, am zweiten Sonntag im November zum ersten Kirbetag. Wenn Sänger und Bürger froh gelaunt alle im Halbkreis auf dem Vaux-le-Penil Platz stehen und in den goldenen Herbst singen. Einst war die Veranstaltung der Kirbe eine Idee für ein familiäres Dorffest. An einem Abend vorher sitzen die Sänger zusammen und schmücken die Kirbefiguren wie Martinigans, einem Schwein und dem Kirbemann mit Materialien aus Blättern, Früchten, Kastanien, Bändern und vielem mehr. Die selbstverständlich in geselliger Runde in Otto Greiner´s Werkstatt herausgeputzt werden. Otto Greiner ist auch der Vater des Kirbemannes. Seit nahezu 70 Jahren ist er aktiv im Sängerbund. Aus seiner Schmiede kommen umgewandelt von Pappmaché die Figuren, die Sonntag und Montag ihren Auftritt haben. Sonntags bringen die Träger das Schwein von der Schmiede auf den Vaux-le-Penil Platz, getragen von vier starken Männern. Die Gemeindekirbe wird mit Liedern besungen. Der Sonntag ist der Tag des Handels- und Gewerbevereins. Aber die meiste Aufmerksameit bekommt der Amtsbüttel. Über das Jahr recherchiert er zu Themen aus der Gemeinde. Sammelt und trägt die „Machenschaften“ des Bürgermeisters zusammen. Heraus posaunt wird alles am Sonntag vor den Augen und Ohren der Schwieberdinger, die beherzt darüber lachen können.
Anschließend gibt es Einkaufen für groß und klein. Eine Spielstraße für die Kinder. Das Angebot ist vielfältig. „Endlich amoale frei“. Bis zur Handmassage: „Sich ebbes Guates dau“. Danach gehen alle am verkaufsoffenen Sonntag einkaufen oder auf dem Krämermarkt flanieren.
Dieses Fest ist einmalig und dauert demnach Tage. Weil der Sonntag nicht ausreicht, geht es montags gleich weiter mit der Bauernkirbe. Zum sogenannten Kirbemeedich mit dem Kirbemann, der mit Peperoni behangen ist, um zu verdeutlichen, dass Schwieberdingen eine feurige Gemeinde ist. Der Montag ist der Tag des Sängerbundes. Welcher nach einer Ansprache vom Vorstand, dem Bürgermeister und dem Amtsbüttel Hans-Joachim Verch dann mit den Worten eröffnet wird: „Die Kirbe isch frei!“. Der vom Bürgermeister mitgebrachte Schnaps wird gemeinschaftlich in kleinen Schlucken von den Sängern vor dem Rathaus getrunken. Während einige Sänger mit dem Dreschflegel Korn dreschen. Danach tragen die Sänger die Martinigans und den Kirbemann in die Turn- und Festhalle. Und wie sollte es anders sein als beim Essen, Trinken und natürlich Singen. Die Noten dürfen wieder einmal nur zusehen, wie das Volk sich amüsiert.
Abschließend ein paar Worte zur Teilnahme zum Singen im Chor. Mittlerweile sind wir im Computerzeitalter angekommen. Einer kurzlebigen Zeit, die verantwortlich ist für Stress und Hektik. Hört, hört: Wertvoll zu wissen, dass mitsingen der Ausgleich zu eintöniger Bildschirmarbeit ist. Einer Art Stimmgabel für positive Stimmungen und Lebenszufriedenheit. Zudem erfüllt Singen, macht glücklich, schafft Verbundenheit und fördert soziale Netzwerke.
  • Nachweis:
    Dr. Willi Müller: 130 Jahre Sang und Klang im Dorf an der Straße Sängerbund Schwieberdingen
  • Heinz Bögeholz, Günter Eckert, Manfred Frank M.A., Reinhard Meier, Hans-Martin Nowak, Helmut Theurer:
    150 Jahre Sängerbund damals und heute
  • Festschrift Philharmonischer Chor Bonn
  • Wikipedia: Zur Geschichte der Männerchöre
  • Wolgang Bossinger: Die Heilende Kraft des Singens
  • Kirbe in Schwieberdingen
  • LKZ, 6.11.14 – Tradion
  • LKZ, 11.11.14 – Goldene Krone und Pepperoni
  • Interview mit Otto Greiner vom 13.11.14


    Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende Eure Lilli

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